top of page

Ich oder Wir



Persönliche oder unpersönliche Liebe???


In einigen Threads und auch Gruppen auf Facebook ging und geht es in letzter Zeit um das Wir von Frauen, u.a. um die Frage, warum „wir Frauen“ uns oft so schwer damit tun, ein wirkliches Wir zu bilden. Dieses Wir scheint in der modernen Welt verloren gegangen zu sein, und so greifen wir oft, wenn wir dennoch danach suchen, auf die alten die magisch-mythischen Formen zurück. Doch wie könnten neue Formen aussehen für dieses Wir, die darüber hinausgehen?


Diese Fragen haben in mir etwas angeregt, dem ich gerne weiter nachgehen möchte. Ich merke, dass ich mich oft etwas schwer tue mit Formulierungen wie „wir Frauen“. Reicht es schon aus, dasselbe Geschlecht zu haben, um ein Wir zu bilden? Darf ich noch eine eigene Meinung haben, wenn ich zu diesem (oder einem anderen) Wir JA sage?


Bei einer Präsenzgruppe zum Thema Integrale Kommunikation haben wir dazu eine interessante Erfahrung gemacht. Wir suchten darin intensiv nach diesem Wir. Und immer wieder glaubten einige von uns, es gefunden zu haben, um dann im nächsten Moment zu erfahren, dass sich ein anderer Teil der Gruppe in diesem Wir nicht wiederfinden konnte. Es hatten sich gewissermaßen Teil-Wir’s gebildet, während sich die anderen von diesem Wir nicht vereinnahmen lassen wollten und mit Abgrenzung reagierten.


Irgendwann hatte ich dann den Mut, meine Beobachtung auszusprechen: „Ich glaube, wir müssen uns eingestehen, dass es kein Wir gibt in dieser Gruppe. Es gibt keine gemeinsame Intention, unter der wir uns versammeln.“ – Die Reaktionen darauf waren interessant. Einige sprachen von Ernüchterung, die sie als wohltuend erlebten. Insgesamt tauchte gerade über dieses „Eingeständnis“ etwas auf, das man als einen gemeinsam gefühlten Grund beschreiben könnte.


Ich glaube, wir haben es hier mit einer viel grundsätzlicheren Frage zu tun, die sowohl die Frage der SpiralDynamics-vMEME, die in diesem Zusammenhang oft angesprochen wird, als auch die Frage der Geschlechtertypen (mit ihren jeweiligen Präferenzen) einschließt und übersteigt: nämlich die Frage des Umgangs mit den sich widerstrebenden Bedürfnissen IN UNS ALLEN nach Kommunion und Agenz, Individualität und Zugehörigkeit, transzendieren und einschließen, weitergehen und halten, Eros und Agape, Aufstieg und Abstieg – und es gibt sicherlich noch tausende Begriffe, die dieses Spannungsfeld beschreiben, das sich nicht nur zwischen uns, sondern auch in uns aufspannt.


Das Männliche (und ich schreibe hier bewusst nicht „der Mann“) scheint dabei eher zum Pol von Individualität, Autonomie, Heraustreten, Vorwärtsschreiten (= „aggredere“ => Aggression), etc. zu neigen, während das Weibliche sich eher nach Kommunion, Umfassen, Umschließen, Halten, etc. sehnt. Allerdings haben wir eben alle beide Pole in uns, nur eben in unterschiedlicher Ausgestaltung und Gewichtung.


Die SD-vMEME (Wertesysteme, Weltbilder) sind aus meiner Sicht in genau diesem Spannungsfeld jeweils als Antwort auf bestimmte Lebensfragen entstanden. Und so folgt auf jeden Ausschlag des Pendels in Richtung Wir wieder ein Ausschlag in Richtung Individualität und umgekehrt. Und letztendlich suchen wir dabei nach einem Weg, beide Pole wirklich gleichermaßen zu würdigen – sie nicht nur in Harmonie zu bringen oder auszugleichen, sondern sie in einer wirklichen Einheit zu leben.


Hier mal aus meiner Sicht ein paar der Lebensfragen, auf die die vMEME eine Antwort versuchen:


BEIGE: Wie kann ICH überleben? Der oder die andere ist dabei nur in der Hinsicht von Interesse, wie er oder sie meinem Überleben dient. Und ein Wir hat den Zweck das Überleben der Beteiligten besser zu sichern, als eine/r alleine das könnte.


PURPUR: Wie können WIR als Stamm die Spirits befrieden? Ex-Kommunizierung, als Ausschluss aus der Stammes-Gemeinschaft, bedeutet hier nicht nur meinen physischen Tod, sondern dass ich meine Identität (mit dem Stamm) und darüber die Fähigkeit verliere, mit den Spirits in Beziehung zu treten. (Da ist es schon besser, als Menschenopfer, den Spirits als Futter zu dienen.) Und das erklärt vielleicht auch das bedrohliche Gefühl, was wir in uns fühlen, wenn wir von einer Gemeinschaft ausgeschlossen werden.


ROT: Wer bin ICH, unabhängig von meinem Stamm? Wie kann ICH gestalten, MICH erfahren als getrenntes Ich? Wo sind meine Grenzen? Wessen bin ich als Einzelne/r mächtig? Die Freude an der Macht kommt hier auf den Plan. Und wenn ich selbst keine Macht habe, wie mache ich mir die Macht der anderen nutzbar?


BLAU: Wie kann jede/r einen Platz im größeren Ganzen haben? GOTT ist das Gesetz, das alle hält – in Gerechtigkeit! Was ist jenseits von Dir und mir wahr? Suche nach der Einen (transzendenten) Wahrheit! Gemeinschaft als Gemeinschaft der Gerechten, der Rechtgläubigen…


ORANGE: Wie kann ICH etwas beitragen? Kreativ sein? Anerkennung finden? Was ist objektiv (also von einer 3. Person Perspektive) wahr? Und wie kann ICH das selbst herausfinden? Welche Rechte (und Pflichten) gelten jenseits von religiösen Dogmen für alle Menschen?


GRÜN: Wie können WIR in Harmonie leben (miteinander und mit der Umwelt), während wir uns alle selbst verwirklichen? Werte und Wahrheit werden als relativ, kulturbedingt und kontextabhängig erkannt. Eine Gemeinschaft der Sensitiven bilden scheint hier die Lösung und damit die Aufgabe.


GELB: Wie kann ICH alle bisherigen Ebenen (in mir und im Außen) so integrieren, dass eine neue Integrale Wirksamkeit entsteht? Wie kann ich die Paradoxien in mir halten, die offensichtlich die Wirklichkeit erschaffen? Wie kann ich bewusst meine eigene Entwicklung voranbringen?


TÜRKIS: Wie können WIR – individuell und gemeinsam, mit unseren einzigartigen Gaben und einem Wir, das ALLE mit ihren Gaben integriert – dem höheren Zweck der Evolution von Bewusstsein und Liebe dienen?


Unter dem Einfluss dieser ganzen Diskussion bin ich dann „zufällig“ auf das gefilmte Musical Les Miserables gestoßen. Das Musical hatte mich schon, als ich 1988 und 1991/92 in New York war, extrem berührt und fasziniert. Beim Anschauen habe ich dieses Mal fast die ganze Zeit vor tiefer Berührung geweint.


Die Geschichte spielt am Übergang zwischen SD-Blau und SD-Orange und zeigt aus meiner Sicht sowohl Licht, als auch Schatten der vMEME Rot, Blau und Orange sehr schön und deutlich. Tief darunter hält es die ganze Zeit eben GENAU JENE FRAGE in der Schwebe, inwieweit das Ich und die persönliche Liebe wichtiger sind, als das Wir und die (unpersönliche) Liebe zur (R)Evolution, oder umgekehrt.


Dies bleibt so bis zum Ende, wo der sterbende Held der Geschichte (gemeinsam mit denen, die schon vor ihm gegangen sind) singt:

Remember the truth that once was spoken: To love another person is to see the Face of God.

Dies wird dann wieder sofort balanciert durch den aus der Ferne ertönenden Gesang der Menschen auf den Barrikaden, der sich nun verändert hat:

Do you hear the people sing Lost in the valley of the night? It is the music of a people Who are climbing to the light. (Fortsetzung hier)

Und das ist genau das, was durch das ganze Stück hindurchschimmert und was mich so sehr berührt, dass es sich nämlich letztlich um EINE Liebe handelt, die ZWEI Gesichter hat. Am Ende merkte ich, wie sich mein Bewusstsein ausdehnte: Der Zeitfaktor kam mit herein, und ich konnte spüren, wie wir eben ALLE daran beteiligt sind (und auch alle, die vor uns gingen und die nach uns kommen): an der Evolution dieser EINEN Liebe – durch uns und in uns und als wir.


Und mir wird noch einmal deutlich, dass das auch der Grund dafür ist, warum mir das Unique Self Teaching so wichtig ist, nicht als Konzept, sondern als Verkörperung dieser Einheit der Liebe, der Einheit zwischen Individualität (Einzigartigkeit) und Ungetrenntsein, zwischen Teilheit und Ganzheit, zwischen persönlicher Liebe zu einzelnen Menschen und unpersönlicher Liebe zum Sein und Werden des Ganzen. Und erst in dieser Verschmelzung der beiden Pole wird dann meines Erachtens ein Wir möglich, in dem jede/r Einzelne in seiner oder ihrer Besonderheit gewürdigt ist, während sich alle gemeinsam auf einen höheren Zweck ausrichten, der sowohl das Ich, als auch das Wir einschließt und übersteigt.


Die Erfahrung dessen steht als Potenzial und Zustandserfahrung wohl schon ab SD-Orange zur Verfügung, als volle Verkörperung und als (Antwort auf eine) Lebensfrage taucht es hingegen in meiner Einschätzung erst ab Türkis wirklich auf, ist also selbst ein „Evolutionary Emergent“, welcher sich gleichzeitig immer weiter entwickelt.


In diesem neuen Wir gibt es zwar immer wieder natürliche Hierarchien (im Gegensatz zu Dominanz-Hierarchien), während sich gleichzeitig deren Linearität auflöst. Jede und jeder von uns hat in irgendetwas bereits Meisterschaft, worin die anderen gerade Lernende sind und umgekehrt.


Der Friede zwischen „uns Frauen“, aber auch der Friede zwischen den Geschlechtern, wird meines Erachtens erst wirklich möglich, wenn wir diese Art von Wir finden, in der die Individualität jeder und jedes Einzelnen als Teil der (und als Beitrag zur) Gemeinschaft gewürdigt ist, während das Wir nicht mehr länger uns selber dient (unserer Sicherheit, unserer Erlösung, unserer Harmonie), sondern einem höheren Zweck, in dem gleichzeitig das Wohl jedes und jeder Einzelnen enthalten ist.


Und da haben wir wohl noch etwas Arbeit vor uns ♥

Kommentare


bottom of page